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Sprechblablasen

Normalerweise habe ich keine Pflanze dabei, wenn ich abends weggehe. Aber gestern schon. Eine winzig kleine Pflanze in einem hübschen Topf, die noch nichts hat außer ein paar zögerlichen Blättchen. Sie stand im Treppenhaus auf einer Party und darunter hing ein Schild „Ableger zum Mitnehmen“. Also habe ich sie mitgenommen.

Ich habe zuhause keine Pflanzen. Pflanzen leben bei mir nicht lang und schon gar nicht gut. Sie werden von Katzen angefressen und ausgescharrt (in einigen Fällen sogar: als Katzenklo benutzt), sie verdorren oder verschimmeln. Ich dachte einmal, vielleicht lebt die Pflanze länger, wenn ich ihr einen Namen gebe. Das Zitronenbäumchen namens Florian wurde von einem Pilz befallen und starb einen schimmligen Tod.

In meinem Zimmer stehen zwei wunderschöne Stoffblumen, damit es wenigstens so aussieht, als könne dort irgendwas gedeihen. Um zu verdeutlichen, wie wenig ich eigentlich mit Pflanzen anfangen kann: Ich habe mich eines Tages dabei ertappt, wie ich mich wunderte, dass die Stoffblumen immer noch so gut aussehen, obwohl sie gar kein Wasser mehr haben.

Aber jetzt habe ich dieses Pflänzchen. Wir haben eine besondere Bindung, denn wir waren gestern abend schon einen zusammen trinken. Ich stellte den Topf in der Kneipe auf den Tisch und plötzlich wollten alle mal anfassen. Ich wurde aufgefordert, der Pflanze einen Namen zu geben und sie mit Bier zu taufen. Als ich mit der Pflanze an der Bar stand, wurde ich gefragt, ob ich noch ein bisschen Wasser dazu haben will. Als ich mit der Pflanze draußen rauchen war, fragte mich jemand, ob ich was mit Guerilla Gardening zu tun habe. Ich verstehe jetzt, warum Leute zum Weggehen ihre Tiere mitnehmen. Man wird immer angesprochen und hat immer was zum Erzählen. Ich war gestern die Frau mit der Pflanze. Vielleicht mach ich das ab sofort immer so.

Anscheinend bin ich inzwischen in dem Alter, in dem man seine Freunde nicht mehr aus den Augen lassen darf, weil sie sofort komische Sachen machen. Z.B. Heiraten. Oder Kinder kriegen. Berufe und Chancen ergreifen. Häuser bauen. Karriere machen. Ich finde das nach wie vor unfassbar beängstigend, aber ich möchte mich davon nicht ganz ausnehmen. Wenn mich jemand anrufen würde, den ich seit ein paar Monaten nicht gesehen habe, könnte ich auch nicht guten Gewissens sagen: „Och, eigentlich ist nicht viel passiert.“ (Nur die Nummer mit dem Heiraten und Kinder kriegen – ich weiß nicht…)

Ich ordne diese Dinge ein unter „Sich aufs eigene Leben einlassen“. Früher war alles nicht so wichtig, da war das Leben vorläufig. Ich habe bis vor ein paar Jahren alles ERST MAL gemacht. Ich studiere jetzt erst mal. Ich mach jetzt erst mal meinen Abschluss. Ich zieh jetzt erst mal in diese WG. Ich bin jetzt erst mal mit dem und dem zusammen. So wie Ingeborg Bachmann es in der Erzählung Das Dreißigste Jahr beschreibt: „Bei jeder Gelegenheit hatte er ja gesagt zu einer Freundschaft, zu einer Liebe, zu einem Ansinnen, und all dies immer auf Probe, auf Abruf. Die Welt schien ihm kündbar, er selbst sich kündbar.“

Aber es gab einen Punkt, ab dem ich das Gefühl hatte: Jetzt gilt es. Das ist es jetzt. Es war leider kein denkwürdiges Datum wie z.B. ganz klischeemäßig mein 30. Geburtstag, und es war auch nicht der Tag, an dem ich mein Abschlusszeugnis in der Hand hielt oder der Tag, an dem ich in eine neue Stadt zog um dort zu arbeiten. Es war einfach irgendein Tag. Aber seitdem ist das, was ich mache, nicht mehr vorläufig, sondern genau so gemeint. Das führt dazu, das man Freunden, die man lange nicht sieht, plötzlich sehr sehr viel zu erzählen hat.

Letzte Woche stand ich in einer riesigen Röntgenmaschine. Der Raum war dunkel und da waren nur ich und dieses riesige Gerät. Eine Wand mit komischen Auswüchsen, aus denen vielleicht unvermutet Strahlen ausbrechen und Ecken, hinter denen vielleicht irgendwelche Krankheiten hervorspringen könnten. Es war zehn Uhr morgens, ich hatte noch nichts gegessen, dafür aber eine Zigarette zur Beruhigung geraucht, was ich sonst morgens nicht tue.

Dann kam eine Frau in den Raum, zog mir eine schwere Schürze an, stellte mich mit dem Gesicht an die Wand und sagte mir, ich solle den Mund aufmachen und Kinn und Nase an die Wand drücken. Dämlicher kann man nicht aussehen, dachte ich mir. Wie eine Bauernmagd aus Brandenburg, die sich an der Schaufensterscheibe des KadeWe die Nase plattdrückt. Und das alles, damit man mir in den Kopf gucken und danach vielleicht sowas sagen kann wie „Oh, das sieht aber gar nicht gut aus.“ Ich fand das ganz furchtbar.

Die Frau drückte meinen Kopf noch mal fest an die Wand. Und dann strich sie mit beiden Händen mehrfach über meinen Kopf und meine Haare. Vielleicht wollte sie nur sicher gehen, dass ich ruhig stehe und sie die Maschine anschmeißen kann. Aber in diesem Moment hatte das etwas sehr Beruhigendes, fast Mütterliches. Ich weiß nicht, warum sie das getan hat, ich habe sie nicht gefragt. Aber ich musste danach keine Beruhigungszigarette rauchen.

Da, wo ich herkomme – manche nennen es Ostdeutschland, manche Mitteldeutschland, für den Süden ist es schon der Norden und ich selbst sage meistens euphemistisch „Großraum Berlin“ – macht man sich keine großen Umstände. Wenn man sich trifft, sagt man „Hallo“ oder auch „Tach“ oder „Na?“ Was man nicht so gerne tut, ist sich dabei irgendwie anzufassen oder sich gar, Gott bewahre, abzuküssen. Es gibt eine überschaubare Gruppe von Menschen, die das Recht darauf haben, bei der Begrüßung und Verabschiedung angefasst oder gar geküsst zu werden und man legt Wert darauf, dass diese Gruppe überschaubar bleibt.

Jahrelang bin ich mit einem hingerotzten „Na?“ und ein paar sporadischen Umarmungen für extrem gute Freunde durch Begrüßungen und Verabschiedungen gekommen. Und dann kam ich ins Saarland.

Als ich das erste Mal einen Arbeitskollegen auf der Straße traf, geschah etwas, das mein Leben für immer verändern sollte: Er hielt mir zur Begrüßung die Hand hin, ich dachte: „Das ist gut, das ist solide, damit kann ich arbeiten. Etwas formell vielleicht, aber was solls.“ Ich gab ihm die Hand und war fest davon überzeugt, dass wir uns jetzt die Hände schütteln würden. Aber plötzlich beugte er sich vor und legte seine Wange an meine. Und dann noch mal auf der anderen Seite. Damit hatte ich nicht gerechnet. Für mich war das ungefähr so als ginge ich im Hosenanzug zu einem Vorstellungsgespräch und mitten im Gespräch zögen sich alle aus und säßen dann in bunten Badehosen und Bikinis da und schlürften Cocktails.

Diese komische Art der Begrüßung heißt laut Knigge Akkolade (lat. „Umhalsen“) und ist ein „ein weiterer Kulturimport aus mediterranen Gefilden […], neben Latte Macchiato oder Paella“. Dass das Küsschen sein sollten, habe ich erst verstanden, als der Kollege schon um die Ecke war. Und da fiel mir die französische Austauschstudentin ein, die ich vor ein paar Jahren mal in Wales auf einer Party getroffen habe. Wir kannten uns nicht, aber als wir uns vorgestellt wurden, griff sie beherzt nach meiner Schulter und küsste mich flink links, rechts, links. Ich muss ziemlich dumm geguckt haben, denn sie sagte entschuldigend: „I’m French. We kiss.“ Und ich, Gefangene meines Unbehagens, erwiderte steif: „I’m German. We don’t.“ Was offensichtlich nicht stimmt, wie ich jetzt weiß.

In einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, sagte einmal ein Komiker: „Wenn man keine Ahnung hat … einfach mal die Fresse halten.“ Dieser weise Ausspruch wurde viel zitiert, aber leider wenig befolgt. Ich bin da keine Ausnahme.

Mir scheint, dass das Fressehalten generell eine Eigenschaft ist, die selten als das erkannt wird, was sie ist – nämlich eine Tugend. Ich kenne wenige Menschen, die das können und ausdauernd betreiben und ich liebe sie sehr dafür. Stundenlang können sie auf einer Party neben einem sitzen und die mit zunehmendem Pegel immer hitziger werdende Debatte belauschen. Ihre Augen flitzen hin und her als würden sie ein Pingpong-Spiel verfolgen. Aber sie sagen nichts. Erst nach Stunden, wenn alle leergequatscht sind und sie alle Argumente reiflich abgewogen haben, äußern sie sich. Dann weiß meistens keiner mehr, wovon sie reden. Nur ich habe auf den Satz des Abends gewartet und applaudiere.

In den Filmen von Kevin Smith gibt es eine Figur namens Silent Bob. Das ist auch so einer, der ein wahrer Meister im Fressehalten ist. Er kann das so gut, dass man meinen könnte, er kann gar nicht sprechen. In Clerks z.B. sagt er nur einen einzigen Satz: „You know, there’s a million fine looking women in the world, dude. But they don’t all bring you lasagna at work. Most of ‚em just cheat on you.“ Das wars. Applaus.

Ich mag die Silent Bobs dieser Welt, die nicht so viel reden, weil sie das, was sie zu sagen hätten, in den meisten Fällen zu unwichtig finden, um es tatsächlich zu sagen. Ich mag sie, weil sie das Gegenteil zu mir sind. Wie man an diesem Blog sieht, finde ich fast alles, was mir so durch den Kopf geht, besprechens- oder sogar beschreibenswert. Aber heute war so ein Tag, an dem ich bestimmt zehn Mal dazu angesetzt habe, irgendetwas von mir zu geben nur um des Mitteilens willen und dann an die Silent Bobs und das Fressehalten dachte und es bleiben gelassen habe.

Bis jetzt.

Ich habe gern Recht. Sehr gern. Zu gern. Es kann passieren, dass ich mit Freunden in erbitterten Streit darüber gerate, wann genau wir das letzte Mal zusammen im Kino waren. Im Prinzip ist mir das genaue Datum auch egal, so lange ich Recht habe. Ich vermute, das hat was damit zu tun, dass ich die Gewissheit brauche, dass mein Gehirn absolut verlässlich ist. Oder ich bin einfach eine blöde Kuh. Das kann auch sein.

Wenn man gern Recht hat, genügt es nicht, ab und zu mal Recht zu haben, dann will man das Monopol. Und es wird schlimmer. Mit der Zeit findet man mehr und mehr Anlässe, die Gelegenheit zum Rechthaben bieten. Eifrig wird jede Herausforderung angenommen. Es ist schon vorgekommen, dass ich auf einer Party wie von der Tarantel gestochen aus dem Raum renne und den nächsten internetfähigen Rechner suche, um nachzugucken, ob Dr. No WIRKLICH der erste James Bond mit Sean Connery war. Warum ich kein Handy habe, das Internet kann, dürfte hiermit auch klar sein. Das würde meine soziale Kompatibilität einfach völlig zerschießen.

Nur dass das klar ist: Ich mag diese Eigenschaft an mir nicht besonders. Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich Leuten dabei zugucke, wie sie etwas versuchen, was zum Scheitern verurteilt ist (z.B. im Sturm allein ein Zelt aufbauen) und dabei im Hinterkopf schon die Intonation für „Ich habs dir doch gesagt“ übe, muss ich an die Parkplatz-Geschichte denken. Und die geht so: Meine Mutter hatte in einem Möbelhaus einen Teppich gekauft und wollte diesen nun in ihrem Auto verstauen. Allein, versteht sich, wir brauchen keine Hilfe. Außerdem weiß man ja vorher noch nicht, ob man den Teppich wirklich mitnehmen wird. Der Teppich passte aber nicht so ohne Weiteres ins Auto. Nicht durch den Kofferraum, nicht durch die Seitentür, nicht von vorne. Nach einer Weile bemerkte meine Mutter, dass einige Meter entfernt ein Mann an seiner offenen Autotür steht und das Schauspiel beobachtete. Der Mann löste sich von seinem Auto, kam auf sie zu, zeigte auf den Teppich und sagte: „Soll ich Ihnen mal n juten Rat geben?“ Meine Mutter, erfreut über die Hilfsbereitschaft, die man den Magdeburgern im Allgemeinen nicht nachsagt, bat um den Rat. „Das wird nüscht“, sagte der Mann, ging wieder zu seinem Auto und fuhr davon.

Ein Freund von mir spricht in Momenten, in denen er große Genugtuung in Verbindung mit boshafter Freude empfindet, von einem „inneren Reichsparteitag“. Die Momente, in denen ich der Rechthaberei nachgebe, sind also sowas wie mein „innerer Parkplatz“. Parkplätze sind keine schönen Orte. Man sollte sie möglichst bald wieder verlassen.

Als wäre es noch nicht genug mit dem Blabla, durfte ich jetzt auch noch im Radio über das Blabla, das ich hier präsentiere, sprechen. Was ich da erzählt habe, kann man hier nachhören. Und das kam so: Die tolle lillymistress hat mich in einem Radiointerview empfohlen. Festivalbekanntschaften. Super.

Also wurde ich heute angerufen und zu dreien meiner Texte befragt. Das Tolle an Radio ist ja, dass man die Leute, die das hören, nicht sieht. Im Gegensatz zu Vorträgen, die ich immer noch richtig schlimm finde. Mein schlimmstes Vortragserlebnis trug sich in einem Hörsaal mit ansteigenden Sitzreihen zu. Und ganz unten das Vortragspult mit Mikro. Da musste ich hin. Und mitten im Vortrag fiel mir auf, dass ich vergessen hatte, wie man das macht mit dem Atmen beim Reden. Ich dachte nach jedem Satz, ich würde ersticken. Und da ich mit Mikro gesprochen habe, dachte ich auch noch, man würde im Publikum hören, wie ich nach Luft japse.

War aber alles nicht so. Hinterher kamen Leute und sagten: „Das war aber wirklich sehr gut vorgetragen.“ Und ich lächelte und tat so, als wäre es nichts und dachte: WIE BITTE?! WOLLT IHR MICH HIER ALLE VERARSCHEN?!?!?! Was ich danach von Radioleuten gelernt habe: Man soll jeweils in der Mitte und am Ende eines Satzes eine Atempause machen. Hätten die mir das nicht mal vorher sagen können?

Schön ist auch, dass mein Gesicht die freundliche Angewohnheit hat, mir durch rote Flecken zu signalisieren, wann ich aufgeregt sein sollte. Menschen, die das mal gesehen haben, nennen es das „Bäckchenglühen“. Ich hatte auch schon Veranstaltungen, vor denen ich eigentlich gar nicht aufgeregt war. Und dann habe ich den Fehler gemacht, in den Spiegel zu gucken und habe gesehen: Anscheinend bin ich doch aufgeregt. Mein Körper muss das ja wissen, der ist an den ganzen Hormonen und Emotionen näher dran als das Gehirn. Dann ist es aus mit der Ruhe.

Aber im Radio: totale Entspannung. Man kann in der Schlumpihose auf dem Sofa rumfläzen und dabei in der Nase bohren und kann trotzdem klingen als hätte man gerade den Ulysses aus der Hand gelegt, den man zum Tee als leichte Lektüre aus der reich bestückten Bibliothek ausgewählt hat. Sprachliche Eleganz und Schlumpihose schließen sich Gottseidank nicht gegenseitig aus. Ich wäre ruiniert, wenn sie das täten. Zu meinen schönsten Erinnerungen gehört, wie ich jemandem in Schlabber-T-Shirt und Schlafanzughose erkläre, was transmediale Narratologie ist und er danach sagt: „Das war unglaublich sexy.“

Bei den Medienfuzzis gibt es übrigens sowas wie „Radiogesichter“. Was das ist, kann man sich ganz leicht herleiten: Das sind Gesichter, die einfach nicht ins Fernsehen gehören. Ziemlich gemein. Aber ich hatte heute definitiv meine Radiohose an. Und ich verrate hier exklusiv, dass ich vorher nicht den Ulysses gelesen habe, sondern Neil Gaiman. Zum In-der-Nase-Bohren möchte ich mich nicht äußern.

In Anlehnung an Die wunderbare Welt der Amélie geht es heute so los: Was Juebla mag – wenn Dinge durchdachte Namen haben. Küchengeräte, Möbel, Stoffe, Farben, Düfte. Man kann sie einfach „Artikel Nr. 236“ nennen, man kann sie aber auch durch einen besonderen Namen als  Projektionsflächen für Kopfkino freigeben.

Ein offenkundiges Beispiel für durchdachtes Namendesign ist IKEA. Die haben tatsächlich zwei professionelle Benamserinnen, die nichts anderes tun als Namen zu finden, damit wir was zu murmeln haben, wenn wir durch die Möbelausstellung tappen. Ich bin mir sicher, dass in so gut wie allen nicht-skandinavischen Ländern, in denen es IKEA gibt, der Hauptreiz beim Einkaufen darin besteht, möglichst albern die Namen auf den Schildern vorzulesen und sich dabei Personen oder anrüchige Tätigkeiten vorzustellen („Hihi, PYSSLINGAR…“).

Meine Mitbewohnerin kam neulich mit Eierbechern nach Hause, die den Namen BENÄGEN tragen. Seitdem überlegen wir, was für eine Tätigkeit oder Eigenschaft das Wort „benägen“ beschreiben kann.  Ich assoziiere am ehesten einen Zustand des Angetrunken-und-gleichzeitig-hungrig-Seins (sozusagen eine Mischung aus „benommen“ und einem gewissen nagenden Element).

Die Namensexpertinnen bei IKEA folgen einem bestimmten System: Die meisten Namen sind Orts- oder Gewässernamen, was die bisher ungeahnte Möglichkeit eröffnet, beim nächsten Stadt-Land-Fluss-Spiel einfach bei den Möbeln abzugucken. Stoffe und Gardinen tragen irritierenderweise Frauennamen, während Stühle und Schreibtische Männernamen haben. (Über die Vorstellung von Aufgabenbereichen der Geschlechter, die da zum Ausdruck kommt, reden wir jetzt besser nicht weiter.) Im letzteren Fall führt das vermutlich auch häufig dazu, dass über Sitzmöbel wie über Personen gesprochen wird: „Wir sind jetzt doch 13 beim Essen. Hol doch mal den Ingolf.“

Besonders viel kreativen Freiraum lassen die Mischkategorien, wie z.B. bei den Namen für Küchenutensilien. Diese stammen aus den Bereichen „Fremdwörter, Gewürze, Kräuter, Fische, Pilze, Früchte oder Beeren, Funktionsbeschreibungen“. Der Korkenzieher heißt übrigens GROGGY. Das kann ich mir sehr gut als Funktionsbeschreibung herleiten.

 

Beim nächsten Mal: Namen von Kosmetikfarben. Z.B. so atemberaubende Sachen wie „In Love with Hulk“ (ein Lidschatten in – natürlich – grün).

Ich habe eine Schwäche für Filme und Serien, die ich eigentlich nicht gut finden will, weil ich da Probleme mit meinem schön organisierten Selbstbild kriege (Harry Potter, alte Hollywood-Filme mit richtig Drama, Jane-Austen-Schmachtfetzen von der BBC, die Herr-der-Ringe-Verfilmungen, etc.). Besonders für Fantasy-Kram, den man als kulturell gebildeter Mesch auch guten Gewissens scheiße finden könnte.

Aber bei „Game of Thrones“ sollte jetzt wirklich Schluss sein. Das wollte ich echt nicht mehr gut finden. Nicht aus einem besonderen Grund, einfach, weil man sich manchmal gegen die eigenen Zuneigungsmechanismen ein bisschen wehren muss, damit es spannend bleibt. Wenn ich mir selber vorwerfen würde, ich sei im Kern eigentlich immer noch das Lese-Nerd-Mädchen, das man mit allem kriegt, wo eine halbwegs überzeugende Fantasiewelt aufgebaut wird, könnte ich mir immerhin sagen: Nee, bei Game of Thrones war Schluss. Ich find also nicht einfach alles gut.

Da ich den ersten Roman gelesen hatte und ihn mehr als merkwürdig fand, dachte ich, kein Ding, ich bin resistent, ich kann mir das angucken. Und dann hab ich endlich was, was ich so richtig scheiße finden kann und wovon ich mich so richtig schön abgrenzen kann. Also hab ich mich hingesetzt, Game of Thrones angemacht und mich auf Spott programmiert. Es hat nicht funktioniert.  Inzwischen habe ich drei Folgen geguckt und ich werde nicht aufhören können, bevor die Staffel alle ist. Ich werd mich wohl damit abfinden müssen, dass ich auf Fantasy ähnlich reagiere wie auf Schokolade: Es ist eigentlich egal, wie sie schmeckt, ich werd sie sowieso essen.

Meine schwerwiegendste akademische Charakterschwäche ist diese: Ich bin eine Methodenschlampe. Es gibt Leute, die fangen bei der Theorie an und suchen dann die Beispiele, auf die sie die Methode anwenden können, sie wissen also von vornherein: Es wird gendertheoretisch. Oder dekonstruktivistisch. Oder kulturwissenschaftlich. Das man das nicht falsch versteht. Ich bin insgeheim fast ein bisschen neidisch, ich kann das nämlich überhaupt nicht und ich schätze Disziplin und Struktur durchaus. Würde ich natürlich nie zugeben. Das akademische Protokoll schreibt für andersartige Arbeitsweisen Verachtung vor.

Ich habe mal ein interessantes Gespräch mit einem Freund aus der Naturwissenschaft über Theorienvorrang geführt, das ich hier nach meiner Erinnerung (mit Vorstellungsanweisungen in Klammern) wiedergebe:

Ich (missbilligend, mürrisch): Ich find das ganz komisch, wenn Leute sich erst auf eine Theorie einschießen und dann erst überlegen, für welche Gegenstände sie die brauchen können. Das ist doch irgendwie verkehrtrum, als würde man einfach allen Themen die vorher ausgewählte Theorie überstülpen wie eine Mütze.

Freund (verständnislos, mit der metaphorischen Ebene kämpfend): Wenn man sich die Mütze aber nun mal ausgesucht hat, weil sie besonders ansprechend ist?

Ich (hin und her gerissen zwischen Empörung und Belustigung, dazu siehe Erläuterung): Aber wenn man dann merkt, dass sie gar nicht passt, sondern dass sie z.B. viel zu groß ist und unten nur noch die Füße rausgucken? Da fängt man doch an zu überlegen, ob Mütze und Mützenträger wirklich so gut zusammenpassen.

(Erläuterung: Mein Gesprächspartner befasste sich damals mit irgendwelchen Vögeln. Daraus resultierte, dass ich mir bei der Mützenmetapher einen winzigkleinen Vogel – mein Gehirn stellte dankenswerterweise das Bild einer Meise zur Verfügung – unter einer riesigen Wollmütze mit Bommel vorstellte. Wenn man das weiß, ist das Gespräch vielleicht auch lustig, wenn man gemerkt hat, dass die Metapher hinkt.)

Freund (mit sich zufrieden, aber nicht ohne Selbstironie): Ich würde nur denken: Schöne Mütze.

So verschieden sind die Einstellungen zu Mützen und Methoden. Ich suche mir Theorien und Konzepte eher zusammen wie die Lösungen für ein Kreuzworträtsel. Ich gucke erst, was ich an einem Text sehe und dann fange ich an zu überlegen, was für Zeug ich brauche, damit das irgendwer versteht, was ich da gesehen habe. (Normalerweise sprechen Geisteswissenschaftler respektvoller über ihre Arbeit, aber mir ist es gerade egal, es ist spät und ich habe das Bedürfnis, mich über mich selbst lustig zu machen.) Das, was ich da mache, hat manchmal ein bisschen was von den Nagel mit der Hand in die Wand schlagen wollen, weil man nicht weiß, dass es Hämmer gibt.