Oh, das Drama

Ich bin der Ansicht, Rationalität ist eine beneidenswerte Eigenschaft. Viele Probleme können relativ einfach gelöst werden, wenn man sie vernünftig betrachtet und in Ruhe abwägt, was zu tun ist.

Es ist schön, wenn man das weiß. Aber es kann sein, dass es überhaupt nichts nützt. Das Drama ist immer stärker als der rationale Entwurf. Dramatisieren ist eine aktive Tätigkeit, eine Sinngebungsstrategie, die von der Grundannahme ausgeht, dass alles ganz schlimm ist, aber noch schlimmer werden kann.

Drama ist ansteckend. Wenn auch nur ein Gedanke infiziert wurde, dann verliert auch alles, was an diesen Gedanken angrenzt, seine Proportion. Ein Beispiel: Ich habe verschlafen, was bedeutet, dass ich zu spät zur Arbeit komme. Der Grund für mein Verschlafen ist, dass ich am Tag davor zu lange weg war, was ich nicht hätte tun sollen. Ich hätte diszipliniert sein müssen und das war ich nicht. Weil ich NIE so diszipliniert sein kann, wie ich mir vornehme, und mich nicht auf die wichtigen Dinge konzentriere, sondern IMMER Trost und Ablenkung bei anderen Leuten suchen muss, mit denen ich dann viel zu lange sitze und trinke und über unwichtige Dinge spreche.  Ich bin so furchtbar undiszipliniert. So werd ich das nie schaffen. Jetzt bin ich so gestresst, dass ich eine Zigarette rauchen muss. Ich rauche viel zu viel. Bestimmt habe ich schon Lungenkrebs und weiß es noch nicht. Oh mein Gott, ich werde sterben!

Ja, ihr lacht. Aber so schnell kann man von der bloßen Tatsache, dass man zu spät kommt, zu einer umfassenden Selbstanklage gelangen. So funktioniert Drama. Und man hat den ganzen Tag was davon. Wer keinen Fernseher hat und sich langweilt, dem sei das Drama als alltagshermeneutisches Verfahren sehr ans Herz gelegt. Es ist nicht zu leugnen, dass das eigene Leben dadurch bunter und aufregender wird. Großes Leid, großes Elend, das Leben als schicksalhafte Geschichte, deren Held oder Heldin man ist. Es ist allerdings auch nicht zu leugnen, dass Drama alles, was an der Realität gut sein kann, einfach kaputtschießt.

3 Kommentare
  1. An Tagen, an denen es mir ähnlich geht, muss ich immer an die weinerliche Mutter des Jungen in dem Film About a Boy denken und wie sie morgens die Milch an der Cornflakesschüssel vorbeischüttet. Was natürlich ein Zeichen für ihr flächendeckendes Versagen in ihrem Leben ist.

  2. juebla sagte:

    Ja, genau so. Was ich übrigens noch überlege: Ist Drama genderspezifisch? Oder ist das ein Klischee? Es gibt da ja eine gewisse Assoziationstradition, von der Hysterie bis zur „Drama Queen“…

    • Glaube schon, dass man das der Geschlechterrolle Frau zuordnet. Ist es nicht weibliche Tradition, Schiefgehen auf interne Faktoren (eigene Unterlegenheit, Hormone, Undiszipliniertheit) zurückzuführen?

Hinterlasse einen Kommentar